
Dies, lieber Leser, liebe Leserin, ist ein Bashing, das nichts bewirken wird wie andere Bashings auch. Erschwerend kommt hinzu, dass der Autor Jahrgang 1951 ist und damit jener Fossil-Generation angehört, die für viele Kulturinstitutionen mega-out ist. So auch in den Münchner Kammerspielen, um die es hier geht, einer Kulturinstitution, die sich gerade auf der Schwelle zur ehemaligen Kulturinstitution befindet. spiegelonline freilich findet, in München vollziehe sich gerade der notwendige Schritt zur Moderne. Die Süddeutsche spricht dagegen unverblümt von einem Skandal. Die neu entdeckte Rauflust setzt sich eben auch jenseits der Rampe fort.
Doch zuerst die Fakten: Seit Jahren, ja, man kann sagen, seit Jahrzehnten gehören die Kammerspiele, Münchens vornehmste Sprechbühne, zu den top ten der deutschsprachigen Theater. Wann immer das Fachorgan Theater heute die Champions in Sachen Schauspielkunst kürte, war die Münchner Bühne mit dabei, zuletzt 2013. Das galt für Intendanz, Regie (und Gastregie), Spielplan, Uraufführungen und Ensemble gleichermaßen. Große Namen wie August Everding, Dieter Dorn, Frank Baumbauer oder zuletzt der Niederländer Johan Simons sind mit dieser Erfolgsgeschichte verbunden, bei den Schauspielern fallen einem Thomas Holtzmann, Walter Schmidinger, Hildegard Schmahl oder zuletzt Sandra Hüller in "Toni Erdmann" als Meisterinnen und Meister ihres Fachs ein.
Doch mit der Verpflichtung von Matthias Lilienthal, Jahrgang 1959, kommt 2015 die Zäsur für die renommierte Bühne. Der aus Berlin geholte Theatermann erfindet das Theater neu, wenn er es nicht gerade als "Kulturkacke" bezeichnet. Und so sieht Lilienthals Labor seitdem aus: Performances, Gastspiele, Kochkurse mit syrischen Flüchtlingen, ein Symposion für Schleuser, vor allem aber die Absage an jedwede Tradition, was bei Lilienthal eine Absage an Sprechkunst und herkömmliche Bühnenstücke ist. "Fuck you, Shakespeare !", das ist die neue Botschaft.
Gleichzeitig häufen sich die Pannen: Die Premiere von Houellebecqs "Unterwerfung" wird in letzter Minute abgesagt, drei beliebte Schauspielerinnen werfen das Handtuch, das anspruchsvolle Münchner Publikum geht, der zeitgeistlichen Indoktrination müde, wieder ins Residenztheater oder zu Christian Stückl ins Volkstheater. Nur Kulturreferent Küppers mag seinen Fehlgriff nicht zugeben: "Wir wussten, wofür Lilienthal steht", sagt er und gibt das Ganze als avantgardistischen Coup aus. München als das neue Berlin. Eine Art Reifeprüfung. Wehe dem, der da Rückwärtsgewandtes von sich gibt, weil er einfach mal wieder gerne einen werkgetreuen "Leonce und Lena" sehen würde (wie ihn Altmeister Dorn in Salzburg präsentiert). Er wird schnell exkommuniziert aus Lilienthals neuer Glaubensgemeinschaft.
Für uns aber, die biologisch irrelevanten Jahrgänge ohne Sinn für das zeitgenössische Theater, ist die Akte Kammerspiele erst mal geschlossen. Und wir beten zur Muse Thalia, dass für Lilienthal bald eine Stelle im Sauerland oder hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen frei wird. Da kann er sich dann austoben. Der Mann, der mit Theater nichts im Sinn hat.
Kommentar schreiben
Ein junger Mensch (Sonntag, 13 November 2016 18:59)
Ach wie schön, dass etwas frischer Wind durch die Kammerspiele zu wehen beginnt. Hatte die diesen doch bitter nötig – trotz der wunderbaren Zeit mit Johan Simons. In Ihrer amüsanten Wutrede lassen Sie dann freilich den Fakt außer Acht – oder zumindest unbenannt – dass selbige Theater Heute, die für Sie wohl ein Symbol der guten alten Zeit ist, das Berliner HAU zum Theater des Jahres 2012 gekürt hatte. Eben unter Matthias Lilienthals Leitung.