Wieder ein Wochenende, Freunde, und wieder dieser Zeitungs-Wahnsinn, dem wir doch eigentlich abschwören wollten:
Beispiel I: Die Zeit bringt auf Seite 3 ein Porträt über Hans-Christian Ströbele. Anlass ist dessen 77. Geburtstag demnächst. Ort ist das Kottbusser Tor, Ströbeles Wahlbezirk in Berlin-Kreuzberg, seit 2002 fest in seiner Hand. Hier hält Ströbele Hof wie eine Art grüner Stadtkönig. Immer wieder muss er Selfie-Wünsche von Touristen erfüllen, immer wieder erkennen Schnorrer, Penner, Flüchtlinge, auf-der-Straße-Sitzende in ihm ihren ganz speziellen Ombudsmann für Gestrandete, Mister Untersuchungs-Ausschuss, der gute Mensch vom Kiez. Und Ströbele, das ist nicht zu übersehen, blüht auf in dieser Rolle. Das ist seine Welt, hier versorgt er sich mit Argumenten für den politischen Nahkampf.
Merkwürdig nur, wie gut er dabei von seiner Umgebung absticht. Denn das Kottbusser Tor, man muss es leider so klar sagen, ist Berlins neue Kloake. Eine herunter gekommene Landschaft aus Pisse und Kotze, Dreck und Abfall. Das Letzte, die Stadt als Müllkippe. Junkie-Utensilien, leere Flaschen, Sperrmüll, alte Matratzen, Hunde. Stark im Kommen auch Trickdiebstähle nach Kölner Muster, bei denen arglose Touristen um ihre Brieftasche gebracht werden. Organisiertes Verbrechen, das auch die Konfrontation mit der Polizei nicht scheut - ein Platz auf dem Weg zur No-Go-Area. Mittendrin der soignierte Linke in seinem Markenpulli, das parlamentarische Gewissen, der Rechtsanwalt, der auch RAF-Mitglieder verteidigte, der aber sofort auf die Barrikaden geht, sobald ein paar Bäume gefällt werden. Ströbele eben. Der anti-bürgerliche Bürgerliche. Oder umgekehrt. Die Sahra Wagenknecht der Grünen.
Mariam Lau ist aus diesen Zutaten ein wunderbar schillerndes Porträt gelungen, das einem wieder und wieder durch den Kopf geht. Auch das ist Deutschland, da braucht es keine AfD.
Beispiel II: Die Süddeutsche vom Wochenende hat ein ganzseitiges Interview mit Frank Castorf, dem Regietheater-Dino (64), dem Enfant terrible, das nicht altern kann. Gerade wuchtet er am Residenztheater in München den "Svejk" auf die Bühne, und bei einem Castorf geht das nicht unter fünf Stunden. Soviel Zeit muss sein. Klar, dass es auch im Interview um Exzesse geht. 35 Halbe am Tag habe Hasek während seiner Arbeit am "Schwejk" getrunken, berichtet Castorf genüsslich, und wenn ihm was zuwider ist, dann sind es "diese Verkäufertypen", die sich seit einiger Zeit in den Theatern breitmachen. Sie würde er am liebsten in die Wüste schicken.
Wenn dagegen bei ihm der Lappen hoch geht, dann brennt die Luft, dann bebt die Erde, wackelt die Wand ! So hat er in Bayreuth seinen "Ring" inszeniert, comic-haft bunt, gleichnishaft monströs, vor einer Tankstelle mit Motel, einem Öl-Bohrturm, der New Yorker Börse, dazu lebendige Krokodile, eine Welt als Spektakel. So hat er mehr als 20 Jahre die Berliner Volksbühne bespielt, bis er mehr oder weniger handstreichartig aus dem Amt gejagt wurde. Jetzt darf er München aufmischen mit seiner Anarcho-Kunst, die immer alles ist und noch ein bisschen mehr und über die sich beim Fleischkäs im "Franziskaner" so wunderbar reden lässt.
Beispiel III: Die Frankfurter Allgemeine Sonntags Zeitung hat schon wieder einen Layout-Preis gewonnen, den "Newspaper Award". Zum fünften Mal bereits. Man kann also sagen, dass fast kein Sonntag vergeht, an dem die FAS nicht einen "Newspaper Award" gewinnt. Was einen als Leser etwas unter Druck setzt. Schließlich muss man auch noch lesen, warum sich - aus Frankfurter Sicht - der FC Bayern in der Krise befindet. Er will einfach nicht Deutscher Meister werden. Was ist da los an der Säbener Straße ? Erleichtert stellt man fest, die FAS weiß es auch nicht. Aber vielleicht steht es ja im Einspalter über Mats Hummels. Oder gleich daneben im Spielbericht aus Dortmund ? Doch auch da wird man nicht fündig.
Inzwischen ist es Sonntag Abend und die Wohnung voll mit Zeitungen. Im Kopf kreisen die Karussells: Ströbele, Kottbusser Tor, Frank Castorf, die FAS und ihr Preis, die Bayern in der Krise. Dazu jede Menge Nichtgelesenes. Es ist zum Wahnsinnig werden. Durchlauferhitzer, sagen Journalisten gerne von sich. Den Lesern geht es nicht besser. Um keinen Deut besser.
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