Pierre ist Mathe-Genie, Hacker und nimmt die Wolken als farbige Primzahlen wahr. Aha, die 37, rosa, sagt er und, aha, die 619, hellgrün, sie lässt sich um 180° drehen, ohne ihre Form zu ändern. Er erträgt es nicht, wenn die Post nicht nach ihrer Dringlichkeit sortiert ist, mag keine kratzigen Jacken und klebt bunte Punkte auf die Etiketten von Honiggläsern. Als er in eine Krise schlittert, klebt er sein ganzes Zimmer mit diesen bunten Punkten zu.
Wenn Pierre verliebt ist, zwickt er die Dame seines Herzens. Er selbst möchte freilich nicht angefasst werden. Denn Pierre hat das Asperger-Syndrom, was nur der klinische Name für Hypersensibilität ist. Lärm erträgt der Asperger-Patient ebenso wenig wie grelles Licht oder nervige Menschen; denen verweigert er auch schon mal den Händedruck.
Le Goût des Merveilles ist der Titel dieses kleinen, aber feinen Nischenfilms aus Frankreich, der hierzulande als Birnenkuchen mit Lavendel durch die Kinos tourt und sich rasch eine Liebhabergemeinde erspielt hat. Eric Besnard, der Regisseur, war bislang bestenfalls einem kleinen Cinéastenkreis ein Begriff, nach Le Sourire du Clown (1998) und Mes Héros (2012). Das wird sich nun ändern.
Mit dem Birnenkuchen ist Besnard ein kleines Meisterwerk gelungen, das ihn in einen Rang wie Rain Man (mit Dustin Hoffman) oder Forrest Gump (mit Tom Hanks) katapultiert. In seinem Fall sind es Virginie Efira und Benjamin Lavernhe, die sich mit sparsamsten darstellerischen Mitteln in die Herzen der Zuschauer spielen. Den Rest schaffen, mühelos und in teils hochästhetischen Bildern, die wogenden Lavendelfelder der Provence im Verbund mit einer Poesie des Augenblicks, die gerade dadurch entsteht, dass da einer sich beim Leben zusehen lässt, der sich nicht verhält wie Hinz und Kunz. Dieser Pierre, man kann es nicht anders sagen, ist ein Achtsamkeitsgenie.
Wir Normalsterblichen müssen uns den Birnenkuchen vermutlich mehrfach anschauen und werden ihn auch dann nicht wirklich erreichen.
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